Wahlrechtsreform 10/10/10/70 – kein 0/8/15!

Am 23. Juni 2016 stimmten knapp 52 Prozent der britischen Wähler dafür, dass Großbritannien die Europäische Union verlassen soll. Wie wäre das Referendum ausgegangen, wenn es am 2. Juni 2016 stattgefunden hätte?

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Am 27. März 2011 wählten die Wählerinnen und Wähler in Baden-Württemberg ihren 15. Landtag. Nach den Koalitionsverhandlungen wurde mit Winfried Kretschmann erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Grünen-Politiker zum Regierungschef eines deutschen Bundeslandes gewählt.

Wie hätten die Wählerinnen und Wähler im Südwesten der Republik vor dem 11. März 2011 entschieden, also vor der Nuklearkatastrophe von Fukushima? Denn nach dem schweren Seebeben in Japan rückte die Debatte über einen Atomausstieg ins Zentrum der Wahlkampfthemen in Baden-Württemberg und sorgten für eine gravierende Veränderung der Wählermeinung.

Viele Faktoren bestimmen das Wahlverhalten. Das gilt insbesondere für die Wechselwähler. Glaubt man den Erhebungen der Wahlforscher, sollen je nach Wahl 10 bis 20 Prozent der Wähler erst am Wahltag entscheiden, welchem Kandidaten oder welcher Partei sie ihre Stimme geben. Zudem scheinen die letzten Wochen vor einer Wahl für viele Wählerinnen und Wähler prägend für ihre Entscheidung zu sein. Das Datum scheint also einen erheblichen Einfluss auf den Ausgang einer Wahl zu haben.

Ist das gut so? Ist es für eine Demokratie förderlich, dass kurzfristige Faktoren und Ereignisse sich so stark auf eine Entscheidung auswirken, die richtungsweisend für die kommenden vier oder fünf Jahre einer Legislaturperiode ist? Verblassen länger zurückliegende Aktivitäten der politischen Akteure zugunsten kurzfristig erlebter Maßnahmen und Ergebnisse?

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ Diese Kriterien einer demokratischen Wahl definiert das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 38, Absatz 1.

Das Bundeswahlgesetz konkretisiert und definiert das besondere deutsche Wahlsystem. Die wahlberechtigten Deutschen wählen gemäß §1 nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl die Bundestagsabgeordneten.

Wann gewählt wird, ist in § 16 des Bundeswahlgesetzes geregelt. Der Bundespräsident bestimmt den Tag der Hauptwahl (Wahltag). Wahltag – so heißt es weiter – muss ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein.

So weit, so gut! Aber muss es in einer Demokratie so sein, dass nur ein einziger Tag bzw. eine kurze Zeitperiode – bezieht man auch die Briefwähler mit ein – so großen Einfluss auf eine mittelfristige politische Linie haben soll? Können auch länger zurückliegende politische Entwicklungen in einer Wahlentscheidung mehr Berücksichtigung finden?

Wäre es nicht auch denkbar, nicht nur am Ende einer Legislaturperiode zu wählen sondern auch während der Legislatur? Ließe sich die Bundestagswahl am Ende der Legislaturperiode mit Ergebnissen vorab geführter Zwischenwahlen relativieren?

In Zeiten der Digitalisierung ließe sich das umsetzen, ohne dass Kosten und Aufwand hierfür unnötig in die Höhe schnellen würden. Die Berechnung der Ergebnisse ist heute kein Hexenwerk mehr. Warum also nicht nach jedem Jahr eine Online-Zwischenwahl, die jeweils zu 10 Prozent in das Gesamtwahlergebnis einfließen könnten. Die abschließende Wahl bliebe mit 70 Prozent wesentlich für den Wahlausgang.

Natürlich bringt das Schwierigkeiten mit sich, insbesondere was die Direktmandate betrifft, also die Erststimme bei den Bundestagswahlen. Aber auch hierfür wären praktikable Lösungen möglich.

Im Ergebnis könnte ein solches Wahlsystem durchaus vorteilhaft sein: Es könnte für mehr Kontinuität in der politischen Arbeit sorgen. Es könnte das Interesse von Bürgerinnen und Bürgern an Politik erhöhen. Es könnte den Zufallsfaktor insbesondere kurzfristiger Einflüsse am Wahltag reduzieren. Und es könnte die starke Fokussierung auf den finalen Wahlkampf reduzieren.

Auch wenn es auf den ersten Blick undenkbar erscheint: Warum sollte man nicht über eine Wahlrechtsreform im Sinne von 10/10/10/70 nachdenken?

 

 

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